NACH DER SCHLIESSUNG: AUCH DAS INVENTAR MUSS RAUS
Kaufhof Bremen: Wie ein Warenhaus leerverkauft wird
Von Hagen Seidel Freitag, 30. Juli 2021

Sie haben schon einiges erlebt und viel gesehen, die Mitarbeiter von Leicht & Co. Wenn Läden schließen, werden sie gerufen, um das Inventar loszuschlagen. Aber was das Team um Ares Krebs derzeit bei der Auflösung des Kaufhof erlebt, ist schon etwas ganz Besonderes: „Wahnsinn“, sagt der Mann, der seit 20 Jahren auf Inventarverkauf spezialisiert ist. Menschenschlangen bildeten sich vor dem Dekoverkauf, Wartezeit bis zu einer Stunde.

Drei Wochen lang hatten sich Krebs‘ Mitarbeiter bereits durch die Verkaufsetagen, Lager und die Katakomben des Bremer Kaufhof gearbeitet, der 1972 mit 18.500m2 Verkaufsfläche als Horten-Haus eröffnet worden war. Tausende und Abertausende Teile hatten sie schon angefasst und nach unten Richtung Ausgang geschleppt − von der kompletten Kantineneinrichtung über Verkaufsständer in allen Varianten oder Büroeinrichtungen und Schaufensterfiguren bis zu Stufentischen.

„Plötzlich dieses Weinfass“

Dann endlich war der Weg frei in einen Raum des Lagers, der bisher total vom Abgeräumten der vergangenen Jahrzehnte zugestellt war. „Und da stand da plötzlich dieses riesige Weinfass“, sagt Ares Krebs, „total verrückt“.

Nicht die einzigen kapitalen Fundstücke in den Kaufhof-Tiefen: Da war diese 2,50 Meter hohe Figur aus der Transformers-Reihe: Ein Café-Betreiber aus Freiburg kaufte sie für seinen Laden. Oder dieser riesige Löwe von Schleich − er steht künftig in einem Tierpark in Norddeutschland, mehr als 1000 Euro brachte er ein. Zwei Meter hohe Weihnachtsbäume mit Lichterketten waren auch im Angebot − „nicht zwei oder 20 − wir haben 200 Stück davon überall im Haus entdeckt“, so Krebs.
Gleich zu Beginn des B2B-Rausverkaufs hatten zumeist Händler oder Weiterverwerter aus der Kundenkartei von Leicht & Co zugeschlagen: „Lkw-weise haben sie das Zeug rausgeholt, das man für andere Läden noch gebrauchen kann“, freut sich der Rheinländer, „Kleiderständer, Mittelinseln, Mitarbeiter-Spinde, Hubwagen − was immer Sie sich vorstellen können.“

„Ein Jahresumsatz“

Leicht & Co ist in Bremen im Auftrag des Immobilieneigentümers unterwegs, der hatte das Pfandrecht für die Innereien seines Haus. Dabei hätte der Erlös der knappen Kasse von Galeria Karstadt Kaufhof auch gut getan. Das Unternehmen, das 2020 sein Insolvenzverfahren beendet hatte, dann wegen des Lockdown begründeten Umsatzverlustes vom Staat einen Rettungskredit über 460 Mio. Euro bekam, verhandelt derzeit schon wieder mit Berlin über Geld vom Staat. Der Bremer Kaufhof stand auf der Schließungsliste, die während der Insolvenz im vergangenen Jahr abgearbeitet wurde. Im Oktober 2020 war Schluss. Die Karstadt-Filiale in der Stadt blieb dagegen geöffnet.
Was eine Warenhaus-Räumung wie diese einbringt, verrät Krebs im Detail nicht. Aber was er verrät, ist beeindruckend genug: „Bei einem Inventar-Verkauf kann schon mal ein kompletter Jahresumsatz eines Warenhauses zusammenkommen. Wir hatten auch schon Fälle, da hatten wir gleich am ersten Verkaufstag den Umsatz von zwei Monaten.“ Viel mehr jedenfalls komme zusammen, als würde ein klassischer Aufkäufer zuschlagen.

„Hertie, Wehmeyer, Gerry Weber…“

„Weniger Entsorgungskosten und Umweltbelastung“ führt Krebs ebenfalls für den Einsatz seines Teams ins Feld − und das scheint mehr als billige Eigenwerbung zu sein. Denn manchmal verlassen Händler nach Jahrzehnten die Immobilie alles andere als besenrein: Galeria Karstadt Kaufhof etwa soll das nach Medienbericht Ende vergangenen Jahres in der Filiale am Essener Hauptbahnhof getan haben. Der Vermieter rächte sich aber auf rustikale Weise: Er ließ das zurückgelassene Inventar samt Müll einsammeln und einfach vor der Hauptverwaltung des Warenhaus-Konzerns abkippen.

Geschichten, die bei Leicht & Co niemanden mehr überraschen: Hertie, Wehmeyer, Böcker, Gerry Weber, Hettlage Süd − das Burscheider Unternehmen − gerade ein Dutzend feste Mitarbeiter − hat schon in mancher geschlossener Filiale das, was noch da war, zu Geld gemacht. Manchmal rückte bei den Verkaufsaktionen für Jedermann gar das Ordnungsamt an − wegen des ungewöhnlich großen Menschenauflaufs vor gewöhnlich schlecht frequentierten Geschäften.

Was dabei nicht sofort weggeht, aber brauchbar ist, landet im Lager in Burscheid bei Leverkusen und wird später dort verkauft, zumeist an andere Händler.

„Rollstangen-Konjunktur“

Manchmal gibt es Sonderkonjunkturen: Im Shutdown fragten Modehändler reihenweise nach Rollstangen: „Die Produzenten lieferten immer weiter, aber die Läden waren geschlossen und es floss keine Ware mehr ab. Die Händler wussten einfach nicht mehr, wohin mit der Hängeware“, so Krebs.
Ebay ist längst auch ein etablierter Vertriebskanal, vor allem für Privatkunden. Die standen in den vergangenen Tagen in Bremen im Mittelpunkt, ganz klassisch stationär: In einem Teil des Kaufhof gab es einen Deko-Verkauf, unter etwas eingeschränkten Bedingungen. „Wegen Corona dürfen nicht viele Kunden geichzeitig in den Laden. Außerdem wird ein Teil des Hauses bereits umgebaut, deshalb hatten wir wenig Platz“, so Krebs. Ein Möbelhaus will im früheren Kaufhof-Gebäude mitten in der Innenstadt öffnen.

„Ersthelfer-Binden mit „Kaufhof“-Aufschrift“

Stoffballen, Fähnchen, Tische, Stufenleitern, Strandliegen, Lampen, Discokugeln, Weihnachtsmann-Mützen, eine amerikanische Tanksäule, Körbe, Schildchen mit Firmen- Logos, sogar Ersthelfer-Binden mit „Kaufhof“-Aufschrift − hier gibt es alles. Und alles muss raus. Doch im Haus liegt noch so viel Zeugs herum, dass die Mitarbeiter des Räumungsverkaufs die Regale immer und immer wieder auffüllen können.
Auch Schaufenster-Figuren sind im Angebot. Die meisten sind schon weg. Ein junger Mann etwa kaufte gleich 20 Stück. Er will in der Nähe Bremens einen Modeladen eröffnen − und konnte hier kräftig sparen. Zumal die Ware praktisch makellos sei.
Irgendwann tauchte ein Glücksrad im unendlich scheinenden Fundus auf. Die Leicht- Leute machten sich einen Spaß daraus und funktionierten es zum Rabatt-Rad und: Ein Euro, zwei Euro, drei Euro auf den Resteeinkauf….

„Frühere Mitarbeiterinnen“

Etwas wehmütig wird der fröhliche Verkäufer Krebs allerdings, wenn er von früheren Mitarbeitern oder langjährigen Kunden des Kaufhof erzählt, die in den vergangenen Tagen nochmal reingeschaut hatten. „Zwei ehemalige Mitarbeiterinnen der Spielwarenabteilung waren hier. Und als sie die 1,20 Meter hohe Furby-Figur − sieht aus wie eine gerupfte Eule − sahen, waren sie völlig aus dem Häuschen: ‚Wo haben Sie die denn gefunden? Die stand zu unserer Zeit im Laden'“.
Eine andere Frau kam im Namen einer früheren Verkäuferin, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht selber in die Stadt aufmachen konnte. Sie wollte unbedingt ein Souvenir vom früheren Arbeitsplatz und bekam es. Kostenlos.

„Traurig“

Kaufhof-Abschiede sind derzeit auch anderswo bemerkenswert in Mode: In Landau in der Pfalz etwa bot die Stadt Führungen durchs bereits leere Haus an, bevor die Bagger anrollten: Alle Termine waren blitzschnell ausgebucht.
Während sich die Kunden in Bremen über die teils ungewöhnlichen Schnäppchen freuen, ist auch ihnen der Hintergrund der Verkaufsaktion allerdings durch klar: „Traurig, dass so viele Läden verschwinden“, sagt in einem Fernseh-Beitrag zum Bremer Kaufhof-Ende ein älterer, in viel Beige gekleideter Herr.